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04. März 2016

DER WANDERER ZWISCHEN DEN WELTEN

Helmut Stieger ist vom Bergbauernsohn zum Service-Leiter im Viersterne-S-Hotel aufgestiegen – und rennt zum Ausgleich immer mal wieder 2.000 Meter hoch.

Seit drei Jahren hat der Service-Leiter Helmut Stieger einen Nebenjob im Lindenhof: Er begleitet einen Tag in der Woche Gäste auf ihrer Wanderung. Stieger, ein Bergbauernsohn aus dem Martelltal, ist ein erfahrener Wandersmann und kennt die Gegend wie kein anderer. „Ich bin bergsüchtig“, sagt er über sich.

Die rote Krawatte ist mit einem perfekten Windsorknoten gebunden. Der Kurzhaarschnitt akkurat. Das Hemd weiß, der Anzug dunkel, die Schuhe schwarz. „Hatten Sie einen schönen Tag?“, fragt Helmut Stieger fast jeden seiner Gäste und hört sich von einem Flachlandtiroler wie mir an, wie hart doch wieder der Aufstieg zur Runster Mühle auf dem Sonnenberger Panoramaweg war. Stieger nickt verständnisvoll und bemüht sich, für den anderen Tag eine noch leichtere Route zu empfehlen. Sein eigenes Nachmittagsprogramm erzählt er keinem. Um halb eins, gleich nach dem ersten Teil der Arbeit im Lindenhof, ist der Service-Leiter des Hotels von Latsch aus los marschiert – hoch zur Vermoispitze. Von 650 Höhenmeter auf 2.980 Höhenmeter. Und wieder zurück. Power-Wandern, nennt er das – und er macht diese oder ähnliche Touren vier Mal in der Woche. „Ich bin bergsüchtig“, sagt Stieger, der während der Urlaubersaison für Bergläufe und Ski-Langläufe trainiert. Mindestens zwei Stunden rennt und läuft er fast täglich, bergauf und bergab. Meist mit seiner Frau Irmi, oft auch allein. „Es ist ein wichtiger Ausgleich für mich zur Arbeit“, sagt er, nachdem er Wanderstiefel und Kniebundhosen wieder getauscht und in die Pinguin-Uniform des Restaurantchefs geschlüpft ist. Um 19 Uhr kommen die ersten Gäste. Die optische Verwandlung des Bergsteigers und Naturliebhabers zum Service-Leiter eines Viersterne-Plus-Hotels dauert vielleicht eine halbe Stunde. Doch eigentlich bewegt sich Stieger zwischen zwei Welten. Helmut Stieger ist auf dem Pühlahof im Martelltal aufgewachsen. Auf einem Bergbauernhof, 1.500 Meter hoch gelegen. Zur Schule musste er täglich 300 Höhenmeter nach unten laufen – nach Martell Dorf. Und mittags wieder nach oben. Eine Straße gab es nicht. Im Winter ging sein Vater voraus, um ihm und seinen acht Geschwistern einen Weg zu bahnen. „Insgesamt waren wir sogar 14 Kinder, weil im Pühlahof zwei Familien lebten“, erzählt Helmut Stieger. Er sagt, er habe seine Kindheit wirklich gelebt. Obwohl sie hart war. „Wir haben in der Natur gespielt, denn Spielzeug in dem Sinn hatten wir ja keines.“ Die vielen Urlauber aus den Städten können sich bestimmt nicht vorstellen, was ein Leben auf dem Pühlahof bedeutete, einem Ort, der eigentlich nur dank der Natur mit anderen Häusern und Höfen und Orten verbunden war. Unzählige Kilometer hat Stieger zu Fuß zurückgelegt, um Nachbarn zu besuchen, um mal beim Onkel vorbeizuschauen. Die Stiegers lebten vom eigenen Anbau, von ihren Schafen, Kühen und Rindern. Der große Helmut erinnert sich, wie er als kleiner Helmut zwei Mal in der Woche hoch ins Gebirge steigen musste, wo die Kühe weideten, um ihnen einen Zusatz zum Futter zu bringen. Und natürlich auch wieder zurück. „Das war unser Sport. Wir haben uns wirklich ständig bewegt“, sagt er. Natürlich hat Helmut Stieger die Zeit geprägt, diese ersten 15 Jahre in der Natur, eigentlich fernab der Zivilisation. „Es war lehrreich, obwohl es mit dieser heutigen Welt nichts zu tun hatte“, sagt der 51-Jährige, der seit seinem 15. Lebensjahr im Service arbeitet. Er hat im Hotel Savoy in Meran einen Servierkurs gemacht, im Excelsior in Meran Hotelverwaltung gelernt, er war in der Schweiz und acht Jahre im Gastronomiebereich selbstständig. Seit 15 Jahren ist er jetzt im Lindenhof im Service. Und seit drei Jahren ist er auch als „Wanderführer“ tätig und damit Nachfolger des 74-jährigen Werner Nischler, der gesundheitlich kürzer treten musste. „Der macht das sehr gut“, sagt Nischler senior über Helmut Stieger – und eigentlich ist das so was wie ein Ritterschlag. Stieger passt seine Wanderungen den Gästen an. Zwischen 300 und 900 Höhenmeter bietet er ihnen bei seinen Ausflügen an, für ihn sind das leichte Spaziergänge. Der Mann seilt sich den Klettersteig Hoachwool bei Naturns hoch, er besteigt an freien Tagen mal schnell den Ortler (3.905 Meter) und die Königsspitze (3.859 Meter). „Ich brauche nicht die Couch zwischen den Arbeitsstunden am Morgen und denen am Abend, ich brauche nur die Berge“, sagt er und behauptet, dass er es nie übertreibe. Man ist versucht, dem ruhigen und souverän wirkenden Mann, der seit zehn Jahren Großvater ist, zu glauben. Bis er die Geschichte vom König-Ludwig-Lauf in Oberammergau erzählt. Beim 50-Kilometer-Ski-Rennen im klassischen Stil zeigte das Thermometer minus 23 Grad – und Helmut Stieger sagt, er sei schon auf der Strecke völlig kaputt gewesen und habe noch Stunden nach dem Lauf gezittert. „Vielleicht hätte ich doch nicht starten sollen – zwei Tage nach meiner Magenspiegelung….“ Warum haben Sie nicht aufgegeben, als sie gemerkt haben, das geht nicht? „Aufgeben mag ich nicht. Wenn man einmal aufgibt, findet man immer wieder irgendwelche Gründe, um alles hinzuschmeißen.“ Vielleicht charakterisiert den Service-Leiter und Naturmenschen Stieger nichts mehr als dieser eine Satz. Und vielleicht überrascht es auch keinen mehr, dass sein Sohn inzwischen ein herausragender Sportler ist: Jonas Stieger gehört mit 17 Jahren dem Junioren-Biathlon-Team an und besucht die Sportoberschule in Mals mit dem Schwerpunkt Wintersport/Biathlon. „Ich glaube nicht, dass ich ihn dazu getrieben habe“, sagt Helmut Stieger. Pause. Er überlegt. „Aber ich habe ihm halt nichts anderes gezeigt.“

Helmut Stieger ist verheiratet mit Irmi, die auch im Lindenhof arbeitet und für das Frühstücksbuffet zuständig ist. Beide haben zwei Kinder: Sarah ist 27, Jonas ist 17. Als Service-Leiter ist Stieger für 15 Angestellte Verantwortlich sowie für den Einkauf von Weinen. Stieger ist 51 Jahre alt und arbeitet seit 16 Jahren im Lindenhof.

1 Kommentar

  1. Avatar Ratschiller Josef sagt:

    Der Lebenslauf bzw. Biographie trifft super zua zum Helmut, toll formuliert, und er weard selten miad, a nit bei 68 Km und 4.200 Hm bei den Hufeisen Ultra Skyrace Sarntal !!!

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