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25. Juni 2022

Für den Experten des Lindenhof Pure Luxury & Spa DolceVita Resorts ist der Aufstieg des Wanderns vom spießigen Altherren-Spaziergang zum hippen gesundheitsbewussten Lifestylesport nicht überraschend gekommen. „Die Natur bietet so viele Möglichkeiten – für jung und alt“, sagt Helmut Stieger.

„Diesen Wow-Effekt habe ich bei jeder Wanderung“

Kaum einer kennt das Martelltal so gut wie Helmut Stieger. Der ehemalige Lindenhof-Restaurantleiter hat das Gebiet schon erkundet, als es noch keine Straßen und nur wenige Wege gab. „Wir haben uns bei Schnee, Wind und Wetter jeden Morgen den Weg von unserem Bauernhof runter in die Schule gesucht“, sagt der 59-Jährige. Bei 300 Meter Höhenunterschied waren das drei Kilometer runter und drei Kilometer hoch. Mindestens einmal am Tag. Und: „Drei oder vier Mal in der Woche mussten wir oben auf dem Berg das weit verstreute Vieh suchen und zusammentreiben, um ihnen das notwendige Salz zu geben. Da warst du Stunden unterwegs.“

Das Wandern war damals nicht des Stiegers Lust.

 

„Um Gotteswillen. Das war Alltag für uns. Wir haben uns höchstens über die paar Wanderer amüsiert, die uns begegnet sind. Keiner von uns wusste, was die wollten und was das sollte“, sagt der ehemalige Bauernsohn aus dem Martelltal. Wie viele Kilometer er damals in der Woche absolvierte? Woher soll er es wissen. Damals gab es keine Uhr, die den Flüssigkeitsverlust bei 110-Pulsschlag und den absolvierten Höhenmetern in der Minute gleich mitberechnete.

 

Heute gibt es alles: Drehschuhe, verstellbare Stöcke, Funktionskleidung, GPS, Wetterapps, Schwierigkeitsgrade und detaillierte Beschreibung jedes Steins im Internet und die Vergleichszeiten im Nike- oder Adidas-Club mit anderen 50-Jährigen. Mit denen ohne Bypass und denen mit einfacher Knieoperation. Mit denen bei zweistündiger oder einstündiger Besinnungslosigkeit. Die Wanderwege werden gepflegt („Manche sogar besenrein gekehrt“) – und neu erfunden bzw. angelegt. Allein in Helmut Stiegers Heimat im Martelltal gibt es inzwischen für die Gäste je nach körperlicher Verfassung einen Schluchtenweg, einen Marmorweg, einen Almenweg. „Wandern ist zum Lifestylesport geworden“, sagt der Wanderexperte.

 

Helmut Stieger sieht das eher mit Freude als aus einer verträumten Nostalgie heraus. Jeden Dienstag und jeden Donnerstag bietet er für seinen Arbeitgeber Lindenhof besondere Wanderungen an. „Früher hatte ich meist eine Gruppe aus Leuten, die sich untereinander kannten und neben der Bewegung ihren Spaß haben wollten. Heute treffen sich morgens auch oft Fremde bei mir, die sich alle neben der Bewegung Landschaften und Wege erhoffen, die sie allein nur schwerlich gefunden hätten.“

 

Dass Wandern gesund hält, war schon erwiesen, als es noch als spießiger Altherren-Spaziergang verspottet worden ist. Warum sich die Einstellung trotzdem verändert hat, erfährt der Lindenhof-„Chefwanderer“ oft in Gesprächen mit seinen Gästen. „Viele der Jüngeren haben einen stressigen Job und sehen die Wanderung als Ausgleich, weil sie in der Natur ohne Handyklingeln zur Ruhe kommen“, sagt Helmut Stieger. Hier sind sie allein mit Gleichgesinnten – und nur der Weg ist das Ziel. Allerdings: vor allem für die ganz junge Generation gehört zum Wandern auch der Gipfelsturm als Herausforderung. „Für mich ist das gleichwertig: wer auf seinen Körper hört und zum Gipfelkreuz will, soll das tun. Wer drei, vier Stunden ohne allzu viele Höhenmeter wandert, kann genauso zufrieden sein.“

 

Für Helmut Stieger liegt die Zufriedenheit des Wanderers ohnehin in der Landschaft begründet. „Die Ruhe und das Abschalten – das sind die Nebeneffekte. Zunächst genießt das Auge die Natur, das macht einen glücklich.“ Und weil bei den Wanderungen in Südtirol das Auge auf den unterschiedlichen Positionen und je nach Wetterlage immer wieder andere traumhafte Landstriche erkennen kann, sagt der Mann, der gefühlt jeden Tag die Erde aus 3.000 Höhenmetern grüßt: „Selbst wenn ich einen Weg schon 100 Mal gelaufen bin, diesen Wow-Effekt habe ich immer.“

 

Sein Beispiel: der Zufrittsee im Martelltal auf 1.900 Höhenmetern. Beim Rundweg fällt die bestechende blaugrüne Farbe des vor 50 Jahren angelegten Stausees auf, man staunt über die Berge, die ihn einkreisen. Von der Zufallhütte (2.200) aus, erkennt man mit dem Weitblick die einmalige Lage des Sees oben im Martelltal. Und von der Rotspitze (3.033) aus hat man das grandiose Umfeld der Berge mit dem See im Blick. Für den Marteller ist es immer wieder ein neues Erlebnis, vor allem, wenn er um fünf Uhr in der Früh den Berg erklimmt. „Am frühen Morgen gibt es die schönsten Bilder einer Landschaft.“

 

Wie wichtig auch den Touristen der Blick und die Landschaft ist, erfuhr der Südtiroler Verband bei einer Umfrage: 41 Prozent erklärten, sie legen Wert auf die „Attraktivität der Landschaft“. Und bei dem Internetauftritt von Südtirol ist „Wandern“ die am meisten geklickte Unterseite. „Wenn Südtirol die Natur nicht sträflich vernachlässigt, wird das auch so bleiben. Denn Wandern ist kein Boom, der vergehen wird. Wandern ist die beste Art, dem Alltag zu entfliehen“, sagt Helmut Stieger.

 

Er flieht an jedem freien Tag. Oft allein, manchmal auch mit seiner bergerprobten Frau Irmi. Dabei stört ihn eh kein Touri, so weit oben, wie er ist. Wegen des Blicks.

 

 

Die Lieblingswanderung von Helmut

 

Rotspitze – Gletscherlehrpfad – Martellerhütte

 

Es ist ein Bergweg mit gigantischer Aussicht auf den Ortler mit der Königsspitze. Ich beginne die Wanderung immer am Ende des Martelltals. Der Weg Nummer 37 führt steil und direkt auf die Rotspitze (3.033 Höhenmeter). Es ist ein Wahnsinn, was es hier im Panoramablick alles zu sehen gibt. Über den Gletscherlehrpfad geht es an idyllischen Bergseen vorbei zur Martellerhütte (2.600). Zum Ausgangspunkt zurück findet man über die alte „Stein-Staumauer“ und die Zufallhütte.

12,8 Kilometer, 1.150 Höhenmeter, ungefähr 5,5 Stunden.

 

Die Geschichte des Wanderns

 

„Wandern ist die Form des weiten Gehens über mehrere Stunden“, steht in Wikipedia. Früher taten das alle Menschen, die sich den Luxus, in Sänften getragen zu werden, nicht leisten konnten. Für sie war „wandern“ die einzige Möglichkeit, eine andere Stadt zu erreichen. Das änderte sich erst mit der Einführung der Eisenbahn Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie wurde zum Fortbewegungsmittel – doch der Philosoph Friedrich Nietzsche machte sich schon damals für das Wandern stark. Er schrieb: „So wenig als möglich sitzen, keinem Gedanken Glauben schenken, der nicht im Freien geboren ist und bei freier Bewegung.“ Alpenvereine wurden gegründet, später stand der sportliche Aspekt im Vordergrund. Die gesundheitliche Wirkung und die Entspannung wurden dem Wandern wieder in den 1990er-Jahren zugeschrieben. Heute ist es gesundheitsbewusster Lifestyle, allein in Deutschland soll es 40 Millionen „Wanderer“ geben. Trotz Eisenbahn.

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