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17. November 2017

Hier ist die Freiheit wirklich grenzenlos

Mit dem Lindenhof-Restaurantleiter und Hochalpinisten von Goldrain bis zum Zufrittstausee – im Auto. „Schian Bliamltol” nennen die Einheimischen ihr Martelltal.

Es passt nicht. Helmut Stieger im Auto. „Wo kann ich den Sitz verstellen?”, fragt er – und der Fahrer merkt bei jedem Kilometer: Am liebsten würde der Mann aussteigen, zu Fuß gehen, Bergsteigerstiefel anziehen. Raus aus dem Karren. Rein in die Natur. „Da oben, guck, da siehst Du die Zufallspitze mit dem Cevedale-Gletscher”, sagt der 54-jährige Restaurantleiter des Dolce Vita- Resort Lindenhof. Beim Pferd würde man sagen, es scharrt mit den Hufen. „Da warst Du schon?”, fragt der Autofahrer angesichts der 3.757 Metern entgeistert. Und der Bergsteiger schaut ihn verwundert mitleidig an. „Willst Du jetzt wissen, wie oft? Das kann kein Mensch mehr zählen.”

Wir fahren durchs Martelltal. Von Goldrain über Morter auf der 22 Kilometer langen Asphaltstraße an der Plima entlang. 18 Prozent Steigung. Hier ist seine Heimat, hier ist er aufgewachsen, groß geworden, hierher kommt er in jeder freien Minute zurück. „Das ist ein Stück Geborgenheit. Nirgendwo fühle ich mich so wohl wie im Martelltal. Wahrscheinlich nennt man das Heimatgefühle”, sagt Helmut Stieger und deutet mit dem rechten Zeigefinger links am Fahrer vorbei auf die Burg Obermontani, die 1328 auf dem Felsrücken entstanden ist und als Wahrzeichen dieser Gegend gilt, und gleich wieder nach vorne, wo jetzt „das richtige Martelltal” beginnt. Wir sind in Sand „Jetzt öffnet sich das Tal”, sagt der Einheimische.

Immer wieder zieht es seine Blicke nach rechts, rüber zum elterlichen Hof, auf dem heute der älteste Bruder lebt. Hier, sagt er, kommen die Erinnerungen hoch. An die unbeschwerte Kindheit, trotz harter Arbeit. „Bei der Heuernte sind wir von morgens sieben bis abends auf den Feldern gewesen.” Er erzählt, wie schwer es war, weil man an den steilen Hängen ernten musste, und im gleichen Atemzug, wie schön es war, hier die Kindheit verbringen zu dürfen. Unterhalb der Laaser Spitze mit ihren 3.300 Metern Höhe, die er heute jeden Tag von der Lindenhof-Terrasse aus sieht.

Die Einwohnerzahl im Martelltal sinkt kontinuierlich. 869 Menschen sind heute noch hier, verstreut in den einzelnen Weilern, auf einsamen Höfen. Fast 500, so schätzt Helmut Stieger, leben von der Landwirtschaft. Mehr schlecht als recht. „Die Bauern versuchen, ihre Erdbeeren zu verkaufen, schwarze Johannisbeeren, Radicchio-Salat, Kirschen und Aprikosen.” Der Druck sei größer geworden, weil heute nicht mehr eine ganze Kinderschar auf den Bauernhöfen mithilft. „Viele Bauern sind Junggesellen, nur wenig Frauen wollen hier herziehen”, sagt Helmut Stieger, der auch seinem Bruder bei der Umstellung von der Landwirtschaft geholfen hat. Der baut heute Wasserleitungen für andere Bauern und hat nur noch fünf Hochlandrinder im eigenen Stall stehen.

Wenn Stieger als Beifahrer bremsen könnte, würde er es tun. „Hier in Martell am Waldberg haben sie eine wunderschöne Rundwanderstrecke angelegt. Den Koundlweg. Zweieinhalb Stunden. Der wäre sogar was für Dich”, sagt er und man spürt geradezu seine Verzweiflung im Auto. Der Hochalpinist gäbe sich mit einem „Spaziergang” zufrieden. Schließlich öffnet er wenigstens das Fenster: „Riechst Du den Duft der Bergwiesen?”

Über Serpentinen geht es hoch auf 1.700 Meter Höhe. Links ist das Biathlon- und Langlaufzentrum zu sehen. Für Touristen sei es ein „sehr romantisches Plätzchen mit kleinen Wiesen und Almhütten auf 15 ha”, für die besten Sportler Italiens ist es die Drillstätte zum Erfolg. Achtjährige trainieren hier genauso wie die Nationalmannschaften Italiens. Plötzlich wird Helmuts Stimme lauter. Ein Berg! „Schau, die drei Kanonen auf dem Cevedale-Gletscher, da vorne.”

DSC08812Es sind nicht viele Autos unterwegs in Richtung Zufrittstausee, der auf 1.800 Metern Höhe liegt. „Die Bauern haben einen Zusammenschluss mit Sulden verhindert, das hätte den Tourismus gestärkt”, sagt Helmut Stieger. Heute gehört das Gebiet zum Naturpark Stilfserjoch und darf kaum mehr verändert werden. Der sanfte Tourismus sei hier gefragt, was freilich auch oben am Parkplatz auf 2.050 Meter Höhe „das Ende der Zivilisation” bedeutet. Vier, fünf Gaststätten gibt es noch um den Stausee herum, das „Paradiso” dagegen, ein Grandhotel, vor dem ersten Weltkrieg für die Reichen der Reichsten zwischen Lärchen und Kiefern erbaut, findet keinen Pächter mehr. Zuletzt hat es die deutsche Wehrmacht 1943 eingenommen. Heute ist es eine rote Ruine. „Die Saison bei uns ist zu kurz – von Juni bis September”, sagt Stieger.

Die Saison für Touristen. Für Hoteliers. Für einen wie Stieger hat die Saison dagegen zwölf Monate. Und 365 Tage. Wenn es mit Bergsteigerstiefeln nicht mehr geht, schnallt er sich oben halt die Skier an. Vor dem Wetter hat er keine Angst, höchstens vor Blitzgewittern. „Ich habe alles schon mitgemacht.” Vielleicht ist das auch mit ein Grund, warum er sich nirgends so frei fühlt wie bei seinen vielen Touren im Martellal. „Wenn du jeden Stein kennst, genau weißt, was dich nach der nächsten Abbiegung erwartet, brauchst du über nichts nachzudenken. Und wenn du über nichts nachdenken musst, fühlst du dich so frei wie nie zuvor. Und kannst die Bergwelt genießen wie kein anderer.”

Der Autofahrer und der Extremalpinist sind am Ziel ihrer Tour. Am Ende der Straße. Von hier aus sind Fußmärsche angesagt, in diversen Schwierigkeitsgraden. Zum Beispiel fünf Stunden über die Rotspitze bis zur Martellhütte. 1.200 Höhenmeter. Für einen wie Stieger fast ein normales Ausflugsprogramm. Für einen geübten Nur-Autofahrer der Tod. „Wir könnten auch eine schöne Rundwanderung oberhalb der Klippen machen. Das sind nur 300 Höhenmeter.” Helmut wagt einen letzten Versuch, spricht aber leichtsinnigerweise von zweieinhalb Stunden Fußmarsch.

Es ist der Moment, an dem sich ihre Wege trennen. Oben am letzten Parkplatz. Der Alpinist geht zu Fuß, der Fahrer steigt ins Auto. Und beide genießen sie das Martelltal. Jeder auf seine Art.

HELMUT LÄDT AUCH NICHT-WANDERER EIN

MUSEUMSBESUCH

Nicht täuschen lassen: auch wenn das culturamartell im modernsten Ambiente kurz vor Martell an der Hauptstraße ins Auge sticht, zeigt es doch eindrucksvoll die Vergangenheit und die ganze Last der Bergbauern. Sie erleben einen Streifzug durch die bäuerliche Kulturlandschaft, es vermittelt die Kargheit, das harte Dasein, aber auch die Heimatliebe der Menschen im Martelltal.

SPORT

Vor allem die Kletterfreunde kommen im Martelltal auf ihre Kosten. Im Freizeitpark Trattla am Museum culturamartell ist eine Kletterhalle gebaut worden, die auf 300 qm Fläche fast alle Schwierigkeitsgrade bietet. Hier finden Sie auch Tennisplätze, Tischtennisplatten, es gibt einen Trimm-Dich-Pfad, eine Boccia-Bahn, Minigolf und und und. Klettern können Sie auch an der Staumauer des Zufrittsees. Zwei Routen sind 80 Meter lang.

KRÄUTER

Wenn Sie sich für Kräuter interessieren, sind Sie bei Martha Stieger im Dorf Martell oberhalb der Kirche (Meiern 258) richtig. Sie hat sich einen ganz speziellen Kräutergarten angelegt, verkauft ganz besonderen Tee, stellt Kosmetika ebenso selbst her wie Marmelade oder Säfte. Ihre Lebensdevise: nehmt eure Gesundheit selbst in die Hand. Wir haben die besten und einfachsten Mittel vor der Haustüre. Wenn Sie jetzt Angst vor Hokuspokus haben, kann ich Sie beruhigen. Die Dame kenne ich seit ihrer Kindheit. Sie ist nämlich meine Schwester. Telefon: +39 339 689 4903/ www.kraeutergarten.it

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