Spa & Wellness
09. Mai 2016

Männer und Schönheitspflege – der Selbstversuch im Lindenhof

62 JAHRE – UND DAS GESICHT HÄLT

Wie Stefanie den „Alterungsprozess“ eines Gastes verlangsamen will – Ein Selbstversuch in der Kosmetikabteilung

Noch immer geben Frauen zehnmal so viel Geld für Kosmetikprodukte aus wie Männer, doch die neue Zielgruppe ist für die Hersteller männlich. „Das Potential ist größer – und damit auch die Dynamik des Wachstums“, sagen die Experten. Immer mehr Männer wagen sich angeblich an Cremes und Gesichtsbehandlungen.

Ein letzter Blick in die Rezeption des Hotels. „Prägt euch bitte dieses Hemd ein. Wenn ihr es in einer Stunde wieder seht, bin ich es“, sage ich aus echter Sorge, man könne mich verwechseln und nicht mehr in das Zimmer 302 lassen – doch Deborah lächelt nur weise. „Ich weiß schon, Sie haben eine Gesichtsbehandlung gebucht.“ Beauty 4, Kosmetikabteilung, Erdgeschoss, Hotel Lindenhof. Ein sogenannter „Behandlungsstuhl“ steht in dem kleinen Raum, ein Spiegel mit Licht hängt an einem dynamischen Ständer, den man hin und herschieben kann. Wie beim Zahnarzt, denke ich. Es ist so ein Moment, in dem man sich fragt, worauf man sich da eingelassen hat. 62 Jahre lang hat mein Gesicht gehalten – und wenn es einem/einer nicht gefallen hat, hat er/sie einfach wegschauen können. Warum, in drei Teufels Namen, versuche ich jetzt plötzlich auszusehen wie 61 mit der Gefahr, dass mich vielleicht anschließend keiner mehr erkennt. „Sollen wir eine Fußmassage dazu machen?“, fragt Stefanie und reißt mich aus meinen trüben Gedanken. Eine Fußmassage? Bei der Gesichtsbehandlung? „Wir bieten das gerne an, weil es zur Entspannung beiträgt“, sagt die Kosmetikerin – und mir wird die Absicht schnell klar: Die Fußmassage bei der Kosmetik ist wie eine Art Narkose beim Zahnarzt – du bist weg und bekommst nicht mehr mit, was mit deinem Gesicht alles veran(un)staltet wird. Dankend lehne ich ab – und Stefanie erklärt mir den weiteren Verlauf des Schicksals. Ich verstehe Reinigung, Peeling, Heißdampf, Feuchtigkeitscreme, Maske – und als ich erkläre, dass manche Menschen sich inzwischen an mein Gesicht gewöhnt haben und die Veränderungen nicht so extrem sein sollten, schaut sie mich fragend an. „Wir können doch Ihr Gesicht nicht verändern. Wir versuchen nur, Alterungsprozesse zu verlangsamen.“ Das habe ich schon oft versucht. Und es ist mir nie gelungen. Ich war vor Jahren einmal 20 Minuten joggen. Ich habe in drei Fitnessklubs Mitgliedsbeiträge bezahlt und zwar gleichzeitig. Und ich habe auch schon mal ein paar Stunden auf Alkohol verzichtet. Alles vergebens. Und nun stoppt Stefanie meinen Alterungsprozess. In 80 Minuten. Obwohl ich mein Gesicht morgens gewaschen habe, reinigt sie mit einem Schaum angeblich weitere Schmutzpartikel ab, belebt mich wieder mit einem Gesichtswasser und fällt dann mit Spiegel und Licht die niederschmetternde Diagnose: Ich bin der trockene Hauttyp mit empfindlicher Haut. Ich lerne, was ein enzymatisches Peeling ist (ohne Schleifpartikel natürlich) und dass beim mechanischen Peeling Jojoba-Kügelchen die abgestorbenen Hautschüppchen lösen. Stefanie Gorfer versteht ihr Geschäft, sie ist gelernte Kosmetikerin und seit vier Jahren im Lindenhof – und immer wieder muss sie mit Männern wie mir kämpfen. Die glauben, eine Behandlung lasse sie um Jahre jünger aussehen. „Sie sollten das alle sechs Wochen machen lassen“, sagt Stefanie. Was sie jetzt macht, tut vor allem weh. Denn nicht nur meine Haut ist empfindlich, ich auch. Sie reinigt die Nase von Mitessern, sie sticht Grieskörnchen auf und piekst und drückt. Geplatzte Äderchen machen ihr zu schaffen. „Behandlungen wie diese können helfen, dass es nicht mehr werden.“ Die Schmerzen gehen weiter. „Wie hätten Sie Ihre Augenbrauen gerne?“, fragt sie. Ich verstehe die Frage nicht. Akustisch schon. Aber: Augenbrauen sind Augenbrauen. „Ein bisschen“, sagt sie – und zupft so wahnsinnig, dass ich fürchte, es bleibt nur noch ein Strich über den Augen. Allerdings bleibt mir keine Zeit, über meinen Augenbrauen-Typ nachzudenken. Denn schon kämpft Stefanie „gegen die freien Radikalen“ – mit einer Vitamincreme, die vor allem Vitamin E enthält. Es folgen Augenmaske, Serum, Handmassage, Augencreme und Gummimaske. Sogar Stammzellen von der weißen Rose werden unter der Abschlusscreme aufgetragen, weil sie identisch sind mit den menschlichen Stammzellen und die Zellerneuerung anregen. Sagt Stefanie – und ich glaube wieder an den neuen Menschen. Ich muss zugeben: sie hat mich geschafft. DSC_2389Irgendwann war sogar ich ruhig, war tiefenentspannt, und es war mir egal, wie und ob ich nachher aussehen werde. Es hat einfach gut getan, vielleicht meiner Haut. Aber auf jeden Fall mir. Ich verstehe jetzt sogar die Männer, die das öfters als einmal in 62 Jahren mit sich machen lassen. Bisher haben sie zum Teil Hohn und Spott ertragen müssen, aber das hat sich schon geändert. Sagen die Marketingexperten der Kosmetikhersteller. „Soll ich Ihnen vielleicht doch die Adresse eines Gesichtschirurgen geben?“, fragt Deborah mitleidig an der Rezeption, als sie mich nach der Behandlung sieht. Sie muss mich am Hemd erkannt haben…

Stefanie Gorfer arbeitet schon seit vier Jahren als Kosmetikerin im Lindenhof. Sie hat eine vierjährige Ausbildung im Bereich Schönheitspflege in der Berufsfachschule in Meran hinter sich. Stefanie bietet von der Fußreflexzonen-Massage bis zur Gesichtsbehandlung alles an – und ist für alle Methoden eigens geschult worden. „Ich finde es sehr schön, im Hotel zu arbeiten. Weil die Menschen, die hier in Urlaub sind, Zeit mitbringen und Muse haben zur Entspannung. In einem normalen Kosmetikstudio sind immer alle unter Zeitdruck“, sagt sie.

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