Lifestyle
04. Juli 2017

Der härteste Job der Welt

Eine europäische Studie setzt in den Berufe-Rankings neue Prioritäten: Wo die Wertschätzung fehlt, ist der Stress am größten.

Es geht nach Drehbuch. Sie klopfen einmal. Sie klopfen ein zweites Mal. Sie rufen „Housekeeping“ – und öffnen die Zimmertüre. Was dann kommt, ist der Moment der Wahrheit. „Es gibt wenige Berufe, in denen man so viel Ekliges sehen muss“, steht in einer europäischen Studie, die nach Bewertung diverser Punkte zu dem Ergebnis kommt: Zimmermädchen haben den härtesten Beruf der Welt.

Nun versucht inzwischen zwar jede Berufssparte durch irgendein Ranking auf sich aufmerksam zu machen, doch Anja Scheer kann die einzelnen Punkte dieser speziellen Auswertung durchaus nachvollziehen. Als House-Gouvernante ist sie im Dolce Vita-Hotel Lindenhof in Naturns für zehn Zimmermädchen verantwortlich – und die Deutsche bestätigt die wichtigste Einschätzung der Untersuchung: „Die Mädchen fühlen sich nicht wertgeschätzt. Und das führt zu dem Stress“, sagt sie. Oder wie es die Studie ausdrückt: „Die Anerkennung, die man sich in anderen Berufen erarbeiten kann, fehlt gänzlich.“ Deshalb sind in dieser neuen Skala durch die Prioritätenliste „Wertschätzung, Gehalt, Arbeitsbelastung“ die Dax-Manager, Feuerwehrleute, Krankenschwestern und Ärzte hinter den Zimmermädchen platziert. „Ich versuche den Mädchen immer wieder klar zu machen, dass Altenpfleger und Krankenschwestern ebenso einen harten Job haben, aber ich weiß auch: Diese sozialen Berufe sind in der Öffentlichkeit einfach besser anerkannt. Und das ist das Problem bei uns“, sagt Anja Scheer.

Zimmermädchen sind weithin unsichtbar, arbeiten dann, wenn sie keiner sieht und bekommen nur mit, wenn der Gast sich beschwert. Die Anerkennung durch Trinkgelder, so wurde europaweit registriert, ist weit weniger ausgeprägt als früher: Nur noch 30 Prozent der Hotelgäste denken bei der Abreise an die perfekt gemachten Zimmer. Und der Druck ist groß: Es ist keine Seltenheit, dass Zimmermädchen lediglich zehn bis 20 Minuten Zeit für ein Zimmer bekommen.

DSC_6124Im Lindenhof wird mit 30 Minuten kalkuliert – und das Drehbuch gibt einen ritualisierten Ablauf vor: Holzkeil in die Eingangstüre, Fenster und Balkontüre zum Lüften öffnen, Armaturen im Bad einsprühen und einwirken lassen, Bett machen, aufräumen, abstauben, staubsaugen, Balkon fegen, Bad und Toiletten säubern. „Wir lassen den Mädchen die Freiheit, Betten, Kissen und Handtücher so zu gestalten, wie sie es wollen. Gerade diese Kreativität bringt ihnen Spaß und Freude und oft sogar ein Lob von den Gästen“, sagt Anja Scheer, die weiß, wie robust man in diesem Job sein muss – seelisch und körperlich. „Viele haben studiert und aufgrund der wirtschaftlichen Lage ihr Land verlassen. Für sie ist der Job Neuland. Und manche von ihnen geben auch schnell wieder auf“, sagt Anja Scheer, die alles tut, damit sich ihre Mädchen im Lindenhof wohlfühlen. „Wir lachen viel, trotz der schwierigen und harten Arbeit.“

Zumindest bis zu dem Moment, vor dem sie zwei Mal geklopft haben…

FAKTEN: Im Lindenhof arbeiten zehn Zimmermädchen. Sie kommen aus Thailand, von den Philippinen, aus der Slowakei, Ungarn, Kroatien. Zwei sind Einheimische. Sie beginnen um 7.30 Uhr mit den öffentlichen Plätzen – dem Eingangsbereich, dem Schwimmbad, den Saunen, dem Fitnessraum. Ab 8.15 Uhr gehen sie in die Zimmer, die ein „Yes” vor ihrer Tür haben. Ab 9.30 Uhr klopfen sie an, falls kein „No” hängt. Zimmermädchen im Lindenhof werden vor Saisonbeginn geschult, erhalten ein „Drehbuch” zu den üblichen Arbeitsabläufen.

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