Lifestyle
19. September 2017

Die im Dunkeln sieht man nicht…

Hilde Pircher und Frantisek Molcan arbeiten im Dolce Vita-Hotel Lindenhof – doch nicht einmal die Stammgäste kennen die beiden. „Alle denken: wer im Hotel beschäftigt ist, kommt mit vielen Menschen in Kontakt. Deshalb sind solche Positionen nur ganz schwer zu besetzen”, sagt der Chef Joachim Nischler.

Drei Waschmaschinen rotieren. Es ist kurz vor halb sieben – und Hilde Pircher holt die ersten Handtücher aus dem Trockner. Auf ihm klebt ein Plakat: „Die ganze Welt ist ein Irrenhaus. Aber hier ist die Zentrale.”

Willkommen am Arbeitsplatz von Hilde Pircher. Wie ihr Kollege Frantisek Molcan ist die Naturnserin kurz nach sechs Uhr durch die Tiefgarage über den Hintereingang gekommen. Sie huschte in Etage E kurz über den Flur und dann gleich links ab in die Waschküche. Der Slowake schleicht sich ein Stockwerk höher an der Bar vorbei zum Spülraum. Die Gäste schlafen noch, die Gefahr, jemanden bei ihren Kurzauftritten in den öffentlichen Bereichen zu begegnen, ist gering. Hilde Pircher und Frantisek Molcan arbeiten im Dolce Vita-Hotel Lindenhof im Dunkeln. 63 Zimmer, 120 Urlauber. Sie sehen keine Gäste, und Gäste sehen sie nicht. „Ich bin ganz froh, wenn ich morgens mit keinem reden muss”, sagt die Waschfrau.

Frantisek Molcan, den alle nur Ferro nennen, ist seit knapp einem Jahr in Naturns. In seiner Heimat Slowakei hat er Marketing studiert, keinen Job bekommen und ein bisschen als Elektriker ausgeholfen, auch zwei Monate in Spanien. „Mein Bruder hat mir immer wieder vom Lindenhof erzählt und mir Bilder aus Südtirol gezeigt – und ich wusste: da will ich auch mal hin”, sagt der 29-Jährige, der so etwas wie der Frauenschwarm im Hotel ist. Jedenfalls bei den Mitarbeiterinnen, nur sie sehen ihn ja. So soll es durchaus die eine oder andere geben, die das Geschirr lieber tassenweise in den Spülraum trägt. Eine Tasse nach der anderen, ein Teller nach dem anderen. Hier arbeitet Ferro quasi als Nachfolger seines Bruders Matus, der jetzt Frühstückskoch im Hotel ist.

Das Leben, sagt Ferro, mache ihm Spaß. Er habe sich noch nie so wohl gefühlt wie jetzt. Um 6.30 Uhr hilft er bei der Vorbereitung des Frühstückbuffets, nach der Küchenbesprechung um acht Uhr schält der ehemalige Marketingstudent Kartoffeln oder Äpfel oder Tomaten und spült zusammen mit seinen Kollegen Patrick Piskura und Igor Veselowsky das Frühstücksgeschirr ab. Ab zwölf Uhr viereinhalb Stunden Pause und von 16.30 Uhr bis zum open end spülen, spülen, spülen. „Arbeiten muss man überall”, sagt er. „Aber zu Hause hast du dir Sorgen um dieses und jenes und alles gemacht. Wenn ich hier ein Problem habe, ist es nur mein Problem, alles andere geht mich nichts an.” Er hat keinen Freizeitstress wie in der Slowakei, wo natürlich auch Familie und Freunde seine Zeit beanspruchten. „Wenn ich hier mit der Arbeit fertig bin, kann ich mich ins Bett legen. Oder die Berge anschauen. Und alles ist gut.”

Hilde Pircher holt wieder einen Stoß Handtücher, der durch ein kleines Schlupfloch von der Decke in den vielleicht 30 Quadratmeter großen Waschraum gefallen ist. Die Zimmermädchen können die Dreckwäsche aus jeder Etage in einen Schacht werfen – sie kommt wie durch Geisterhand immer bei Hilde an. „Samstags ist die größte Hektik, wenn die Gäste abreisen und alles aus den Zimmern hierher geflogen kommt – Bettwäsche, Bademäntel und Handtücher”, sagt die Frau, die seit acht Jahren hier unten in aller Stille ähnlich rotiert wie ihre drei Waschmaschinen, der Trockner und die Bügelmaschine. Außer Dreckwäsche hat die Stellvertreterin der Gouvernante Anja Scheer in dieser Zeit auch noch was anderes gefunden: einen Partner fürs Leben. Mit dem Hausmeister Carletto (Karl) Trenkwalder lebt sie zusammen in Tschirland. Ob sie da auch abends immer über den Lindenhof reden? „Da habe ich keine Zeit. Da muss ich ja meinen eigenen Haushalt machen”, sagt sie.

Ferro Molcan will bald mal seine Eltern ins „schöne Südtirol” einladen, zumal sein Bruder inzwischen eine kleine Tochter hat. Er kann sich eine Zukunft in Naturns vorstellen, „vielleicht mal als Kellner – das wäre schön”. Bis dahin geht er abends um halb elf weiter durch den Hinterausgang über die Tiefgarage zum Mitarbeiterhaus. Und wenn es für den Mann im Dunkeln überhaupt ein Problem gibt, ist es dieses: Die vielen Juve-Fans unter den Mitarbeitern wollen nicht begreifen, dass Real Madrid die beste Mannschaft der Welt ist. „Irgendwann gehe ich vielleicht nach Spanien – aber nur wegen Real Madrid.”

„Rudelbildung” im Lindenhof

Im Lindenhof ist „Familienarbeit” angesagt: außer der Familie Nischler ist die Familie Arvay stark vertreten: Marosh und Michal arbeiten als Hausmeister, in dieser Saison haben sie ihren Bruder Jan als Koch nachgeholt. Michals Lebensgefährtin Miriam Kucerkova ist schon lange im Etagenservice beschäftigt. Maroshs Ehefrau Michaela hilft im Waschraum aus. Auch die Familie Molcan ist gut dabei: Matus steht seit dieser Saison morgens und am Mittag in der kleinen Showküche, seine Frau Marcela springt ab und zu im Service ein, sein Bruder Frantisek ist Abspüler. Und Hilde Pircher hat mit dem Hausmeister Carletto ihren Traumpartner kennengelernt.

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