Lifestyle
02. Januar 2017

Groß, größer, am größten ist kein Konzept

Joachim Nischler über das Wettrüsten der Südtiroler Hotelerie.

Der Lindenhof-Chef setzt auf Authentizität und den Wohlfühlfaktor eines Familienhotels: Bei mehr als 100 Zimmern leide die Qualität, sagt er.

Sie haben einen Traumberuf – glauben jedenfalls Schüler aus Hamburg. In einer Umfrage zu allen Berufen haben sie gesagt, sie würden am liebsten in leitender Funktion in einem Hotel arbeiten. Den Kontakt mit den vielen Menschen stellen sie sich „super“ vor.

„Der Kontakt zu den Gästen ist das Schönste an diesem Beruf. Es ist super, sich immer wieder mit anderen Menschen unterhalten zu können. Man erfährt viel, man lernt dazu, weil die Urlauber aus unterschiedlichsten Bereichen kommen. Bei uns findet immer wieder ein reger Meinungsaustausch statt über Mitarbeiterführung, über Kundenbetreuung, über Zielsicherung. Da höre ich genau zu.“

Und lernen dabei?

„Ja, klar, da kann man sich immer Impulse holen. Was in anderen Sparten gilt, gilt meistens auch in der Hotelbranche. Zum Beispiel hat mir ein Mittelständler aus Bremen mal erzählt, die drei Hauptsäulen eines erfolgreichen Unternehmens seien der Standort, das Konzept und der Betreiber. Das passt auch auf die Hotelerie zu hundert Prozent.“

Sie haben ja ein ungewöhnliches Konzept gewählt, als Sie das Hotel Ihres Vaters 2004 umgebaut haben – modernes Haus mit kunstvollem Ambiente, Bedienungen ohne Dirndl und weg von Südtiroler Tradition.

„Weg von Südtiroler Tradition stimmt nicht. Viele wollten damals nur eine Art Lederhosenstil als Südtiroler Tradition verkaufen. Das wollten wir nicht. Weil es auch nicht zu unserem Lebensstil passt. Wir wollten unseren Gästen ein Konzept anbieten, hinter dem wir zu hundert Prozent stehen. Wir sind eine aufgeschlossene, moderne Familie, wir essen gerne gut und trinken auch mal gute Weine. Und wir sind alle sportbegeistert. Das spiegelt sich seit Jahren alles im Lindenhof wider.“

Das heißt: das Konzept war damals Authentizität statt Almhüttenromantik?

„Almhüttenromantik hat seinen Platz auf den Bergen, nicht in Naturns. Und ja, ich bin überzeugt, dass gerade in Familienbetrieben Authentizität das wichtigste Konzept ist. Dazu gehört, dass wir das leben, was wir anbieten, dazu gehört, dass die Philosophie der Familie vom Hotelchef bis zum Abspüler verstanden wird. Deshalb schulen wir das Personal. Nur wenn alle Mitarbeiter das Konzept verstanden haben, fühlen sich die Gäste wohl.“

Die Philosophie ist …

„… möglichst alle Wünsche zu erfüllen, möglichst dafür zu sorgen, dass sich die Gäste bei uns daheim fühlen, von der ersten Minute an, dass sie abschalten können, sich um nichts kümmern müssen. Und da sind immer Kleinigkeiten entscheidend, weil das alle Familienhotels in Südtirol versuchen.“

Viele Familienhotels rüsten auch auf und bauen um. Die Hoteliers in Südtirol spielen gerne mit dem Bagger, hat mal einer gesagt.

„Das stimmt, das Wettrüsten um die Kundschaft nimmt zu. Südtirol hat in einer Saison inzwischen fünf Millionen Gäste bei 28 Millionen Übernachtungen. Viel mehr verkraftet diese Region nicht, also wird in Zukunft um diese fünf Millionen noch mehr gekämpft werden. Und da immer mehr Touristen den Luxus der Vier- oder Fünfsterne-Hotels bevorzugen, ist hier der Drang nach neuen Konzepten besonders groß.“

Das heißt: groß, größer, am größten?

„Genau das darf es nicht heißen. Mehr Übernachtungszahlen garantieren keine höhere Rentabilität. Manche Familienhotels übernehmen sich, weil sie zu viel auf einmal investieren. Zudem bin ich sicher: bei mehr als 100 Zimmern leidet zwangsläufig die Qualität, die ein Haus wie unseres auszeichnet – mit dem Wohlfühlfaktor, den Familie, Mitarbeiter und Gäste gemeinsam ausmachen.“

Trotzdem wollen auch Sie investieren?

„Wir machen das Schritt für Schritt. Vergangenes Jahr haben wir die Fläche unseres Nachbarn gekauft, irgendwann werden wir dadurch erweitern können. Allerdings garantiert nie auf mehr als 100 Zimmer. Ich will ja mit jedem meiner Gäste noch sprechen können…“

Wahrscheinlich leidet jetzt das Wunschbild, das sich die Schüler machen …

„Früher war ein Hotelchef natürlich in erster Linie ,Grüß-Gott-Onkel‘, das hat sich geändert, bei all den Anforderungen, die Gäste heute stellen und auf Bewertungsplattformen kundtun. Wir müssen die richtigen Mitarbeiter suchen, sie schulen, wir müssen über Investitionen und Pläne nachdenken, wir sind im Marketing gefordert, im Verkauf, im Controlling. Trotzdem würde ich sagen: machte früher der Kontakt zu den Gästen 70 Prozent aus, so sind es heute 50. Ich hoffe aber, dass es keiner merkt – deshalb arbeite ich einfach noch mehr am Tag. _dsc4787-kleinDenn auf Gespräche mit den Urlaubern möchte ich als kommunikativer Mensch nie verzichten.“

Also doch ein Traumberuf?

„Ein Traumberuf, bei dem man nachts auch mal schlecht schläft. Weil man halt doch ein paar Sorgen und Probleme hat.“

Joachim Nischler (47) ist seit seinem 27. Lebensjahr Hotelchef. Unterstützt wird er in dem Familienbetrieb von seinem Vater Werner, dessen Frau Doris und vor allem von Lorella Longhitano, der Mutter seiner Töchter Chiara und Emma. Chiara arbeitet neben dem Wirtschaftsstudium in Innsbruck ebenfalls im Hotel, Emma studiert Kunst in Florenz und hilft in jeder freien Minute mit aus.

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