Lifestyle
Kulinarik
09. Februar 2017

Der Versuch eines Selbstversuchs

Ist Barmann Stefan ein Experte, was weiß er wirklich über sein alkoholisches Aushängeschild, wie viele verschiedene Sorten schafft er an einem Abend – und: welche Nummer schafft ihn?

Dienstschluss an der Bar. Herr und Frau Sch. aus D., Frau K. aus dem Service und der Schreiberling dieser Zeilen wollen den Bartender testen. 222 Whisky- und Whiskeysorten warten auf Stefan Pichler, den Barchef des Viersterne S Hotels Lindenhof in Naturns. Wer täglich so viel Whisky anbietet, muss doch auch was davon verstehen – und viel vertragen. Das ist die Ausgangsposition für den erzwungenen Selbstversuch. Der Delinquent bringt die erste Flasche, lässt aber zunächst mal seine Zuschauer riechen.

„Rauchig“, sagt der Experte.

Toll.

„Als ich vor drei Jahren in den Lindenhof kam, habe ich gedacht: das ist Beschäftigungstherapie: damals 140 Flaschen putzen“, erzählt Stefan. Irgendwann fand er es „cool“, an einer Bar zu arbeiten, an der es so viel Whisky gibt. „Diese Auswahl findest du sonst in keiner Hotelbar in Südtirol.“

Wir warten, dass er sein erstes Glas trinkt. Schließlich stehen noch 221 andere Sorten bereit. Stefan schenkt ein, reicht den Whisky erst mal weiter. „Ihr müsst riechen“, sagt er – und lässt das Glas kreisen. Anschließend träufelt er mit dem Strohhalm drei Tropfen Wasser dazu. „Und riecht jetzt mal.“ Für den, der Schnupfen hat, klärt er auf: Vorher habe man vor allem den Alkohol gerochen, mit den drei Tropfen Eiswasser werden die Aromen stärker. Die ersten der Zuschauer wollen nicht nur riechen, sie wollen auch mal probieren.

„Ich habe viel über Whisky gelernt in all den Jahren“, erzählt Stefan. Viel vom Hotelchef Joachim Nischler, aus dem Internet, aus Büchern und von Gästen. „Ich höre genau zu, wenn sie mir was erzählen – zum Beispiel von ihren Reisen in die Hochburg Schottland.“ Er hat nachgefragt, er hat es sich eingeprägt. Und selbst einen Kurs organisiert mit Matthias Knorr, dem Chef der Münchner Barschule. Stefan kann die diversen Regionen aufzählen, in denen Whisky entsteht, und er kann erläutern, warum der Whisky aus der einen Gegend anders schmeckt als der aus der anderen.

Zum Beweis bringt er aus sechs Regionen die Flaschen 2, 18, 27a, 42b, 51 und 151a, die auch so nummeriert an der Theke stehen. „Jetzt geht’s los“, singen die Zuschauer. Wie viele verschiedene Sorten schafft der Barmann Stefan an einem Abend? Oder in einer Nacht? „Gleich“, sagt der Hauptdarsteller – und will vorher kurz zeigen, dass Frauen einen anderen Whiskygeschmack haben als Männer. Frau Sch. und Frau K. probieren, schütteln den Kopf. 18 und 42b sind super, 51 und 151a igitt. Herr Sch. und der Schreiberling finden 18 und 42b igitt und 51 und 151a super.

Stefan riecht an 70b und 150c und sagt was von fruchtig und lieblich und torfig. „Gerste wird in warmem Wasser eingeweicht und keimt rund eine Woche“ erklärt der Barmann. Vom Mälzen erzählt er, vom Maischen, von der Vergärung, von der Destillation, von der Reifung. Von 75 Prozent Alkohol, von aromatischen Gewürzen, von strukturiert und von tief. Und bei allen Erklärungen lässt er riechen – und je mehr die Zuschauer riechen, desto häufiger wollen sie auch probieren.

666 Gläser Whisky hat Stefan in diesem Jahr an der Bar schon verkauft. Vor dieser Nacht. Zwischen 5,50 Euro und 27,80 Euro. Er sei total überrascht gewesen, wie viele Gäste sich mit Whisky auskennen. „Sie verlangen natürlich immer den Whisky, den sie schon kennen. Aber oft gelingt es mir, ihnen was Anderes zu empfehlen“, sagt Stefan. Was er denn so empfiehlt, ob er denn alle schon probiert habe, lallt der Schreiberling irgendwann – und Herr Sch. versucht zu sagen, dass man schon mal was getrunken haben müsse, was man anderen ins Glas schüttelt. Oder schüttet.

Warum steht plötzlich die Flasche mit der Nummer 92 b auf dem Tisch? Der hat doch nur 40 Prozent Alkohol. „Ein Single Malt“, sagt Stefan – und Frau K. schreckt noch einmal hoch, wo denn der Single-Mann sei? Sie vergisst das Riechen, nimmt noch einen Schluck. „26,70 kostet das Glas”, sagt Stefan – und hat es geschafft. Jeder will probieren, womit sein Selbstversuch endgültig ein berauschendes Ende findet. Nur anders als gedacht. Weder die Damen K. und Sch. noch die Herren Sch. und W. wissen in diesem Moment noch, was denn der eigentliche Sinn dieses Abends war.

„Ich trinke eigentlich ganz wenig Alkohol“, sagt der Barmann Stefan Pichler, höchstens mal einen Cuba Libre. Sein bisher bester Gast hat mal sieben Gläser Whisky geschafft. „Die Numero sieben hatten wir doch schon“, artikuliert der Schreiberling irgendwie und drückt im Aufzug verzweifelt und immer heftiger die „2“. „Ihr seid im zweiten Stock“, ruft Stefan – und macht die Lichter aus.

Das Ende eines Selbstversuchs. Für die Zuschauer im Aufzug. Im zweiten Stock. Stefan Pichler fährt souverän und sicher mit dem Auto nach Hause.

 

An der Hotelbar im Lindenhof gibt es 222 Whiskyflaschen aus allen schottischen Regionen, aus Irland, Frankreich, Kanada, Japan, Amerika und Italien. Die Schotten, Kanadier und Japaner schreiben ihren Brand nur mit y, in Amerika und Irland wird aus Whisky Whiskey. Der deutsche Duden empfiehlt die Rechtschreibung Whisky. 712 Gläser Whisky hat Stefan 2016 an der Bar verkauft. Zum Vergleich: 13.250 Gläser Bier und über 8.000 Cocktails.

 

Diesen und mehrere tolle Artikel lesen Sie in der aktuellen Ausgabe der Hotelzeitung SUITE des Hotel Lindenhof.

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