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06. April 2017

Mit Power in der Power-Gruppe

Die Umgebung ist malerisch schön – aber haben die Radfahrer bei 2.100 zu bewältigenden Höhenmetern überhaupt noch einen Blick für die malerische Südtiroler Landschaft vor und nach dem Passo San Lugano? Von Naturns an den Lago di Caldonazzo – Beobachtungen bei der Rad Opening-Woche in Naturns von Storck, Lindenhof und Ötzi-Bike-Academy.

Ein paar Kilometer hinter Altrei, auf der Fahrt in Richtung Cembratal, stoppt Freddy Wallnöfer bei dieser dritten Etappe das Feld. „Das müsst ihr euch ansehen“, ruft der Südtiroler – und tatsächlich zücken die Rennfahrer an einer Bushaltestelle ihre kleinen Kameras, die sie irgendwo an dem eng anliegenden Dress verborgen halten. Der Ausblick auf Weinberge, Tal, Berge und an den Hängen liegenden einsamen Häusern und Höfen ist gigantisch. „Noch 30 Kilometer“, sagt Wallnöfer und steigt wieder aufs Rad.

Vielleicht ist so eine Szene der große Unterschied zum Giro d’Italia oder der Tour de France. Keiner der Profis würde auf die Idee kommen, seinen Angriff auf die Spitze zu unterbrechen, um ein paar Erinnerungsfotos zu schießen. Doch das Storck-Rad Opening, das in Naturns das Dolce Vita-Hotel Lindenhof und die Ötzi-Bike-Academy veranstalten, soll den Hobbyradsportlern beides bieten: Harten Sport und gute Unterhaltung. „Unsere Tour ist sportlich anspruchsvoller, als viele denken. Aber wir fahren kein Rennen, sondern sind immer noch aus Spaß am Radfahren unterwegs“, sagt Ötzi-Bike-Chef Klaus Nischler, der ebenso als Guide fungiert wie Lindenhof-Hotelchef Joachim Nischler. Zum elften Mal führen sie Urlauber durch Südtirol, die speziell für diese Woche gebucht und mit den Schweizern Oscar Camenzind, Alex Zülle und Dani Schnider ehemals erfolgreiche Profis als Berater an ihrer Seite haben.

„Es ist bewundernswert, was diese Leute hier leisten“, sagt der einstige Straßenweltmeister und Sieger der Lombardei-Rundfahrt, Oscar Camenzind, der von 1996 bis 2004 Profi war. Bei der Etappe von Naturns zum Lago di Caldonazzo begleitete er die Gruppe „Power“, bei der die am besten Trainierten unter den rund 60 Teilnehmern starten, und gestand bei der Rückfahrt mit dem Bus seinem Freund Alex Zülle, Weltmeister im Einzelzeitfahren und zweimaligem Vuelta-Gesamtsieger: „Ich spür die Strecke heute ganz schön in den Knochen.“

Morgens um acht war die Welt auch für Camenzind noch in Ordnung.

Im Lindenhof wird  ausgiebig und in aller Stille gefrühstückt, während im Headquarter an der Naturnser Hauptstraße, in der Ötzi-Bike-Academy, schon erste fröhliche Hektik herrscht. Die Fahrer der vier Begleitfahrzeuge checken mit Klaus Nischler noch mal die Tour am Computer und prüfen, ob Verkehrsbehinderungen gemeldet sind, verladen Ersatzräder, Wasserkanister und notwendiges Material. Freddy Wallnöfer und Franz Höllrigl packen in die namentlich gekennzeichneten Beutel der Teilnehmer und Teilnehmerinnen belegte Brote, Bananen und Schokoriegel, sprechen noch einmal die wichtigsten Punkte des Tages ab und begrüßen ihren verspäteten Kollegen Siegi Weisenhorn. „Ich möchte mal wissen, wie Du das immer schaffst, so aufzustehen, dass wir hier mit allem fertig sind, wenn Du kommst“, spottet Wallnöfer, der später überrascht ist: Selbst bei dieser schweren Etappe über 134 Kilometern und 2.100 Meter Steigung haben 14 Gäste für seine Gruppe Power gemeldet. Der Rest teilt sich in zwei sogenannte Basic-Felder und eine Easy-Gruppe. Auch die Basic-Fahrer müssen 2.100 Meter hoch.

Walter Kaserer ist der Schwiegervater von Klaus Nischler. Seit der Bankdirektor pensioniert ist, fährt er während der Rennwoche einen der Vans, die die vier Gruppen begleiten. Heute betreut er Wallnöfers Power-Elite, und nur zweimal in den fünfeinhalb Stunden verschätzt er sich: Zum ersten Mal allerdings schon in Neumarkt. Als er an der Würstlesbude gerade mit einer Wurst den Hunger stillen und auf die Gruppe warten will, rast sie grußlos an ihm vorbei. „Die sind ja noch schneller, als ich gedacht habe“, sagt Walter, steckt die Geldbörse frustriert zurück und steigt ohne Würsterl wieder ein. Pause vorbei, jetzt muss er hinter der Truppe eine Stunde lang die mächtige Steigung auf engen Sträßchen mit Kopfsteinpflaster, Asphalt und Steinchen durch idyllisch gelegene Dörfchen bis zum Passo San Lugano hoch fahren und immer wieder runter schalten, weil das Feld ein wenig auseinandergefallen ist. Bei den Profirennen nennt man das „Besenwagen“, der die einsammelt, die nicht mehr können. Hier können alle, jedenfalls gibt keiner auf. Später wird gemeldet, in der Basic-Gruppe hat der Van zwei Mitfahrer bekommen – die Brüder Molcan vom Lindenhof. „Wir wollen es einfach mal probieren“, hatten die zwei Mitarbeiter von Joachim Nischler morgens erklärt – und der Hotelchef war stolz auf Ferro und Matus. „Zu solch einer Wahnsinnsstrecke gehört viel Mut“, sagt der geübte Radfahrer. 80 bzw. 100 Kilometer haben der Abspüler und der Frühstückskoch geschafft.

„Wir sind falsch“, sagt Walter und fingert das Handy aus der Tasche. Er sieht seine Fahrer nicht mehr vor sich und wähnt sich bei der Abfahrt zum Lago di Caldonazzo auf der falschen Strecke. Doch keiner geht ans Telefon. Er sucht, er gibt Gas. „Es muss diese Richtung sein“, sagt er – und schüttelt plötzlich den Kopf. Er hat sich zum zweiten Mal verschätzt. „Da vorne sind sie. Das gibt es doch gar nicht, wie die den Berg runter gerast  sind.“ Für kurze Zeit hatte das Auto den Anschluss verloren. Die Radfahrer haben Gas gegeben. „Runter geht’s immer noch ganz gut“, sagt der ehemalige Schweizer Meister Dani Schnider lachend am Lago di Caldonazzo, als sich Autofahrer und Radfahrer zum Tourabschluss wieder begegnen.

 Schnider betreibt bei Luzern in Wolhusen ein Radsportgeschäft und fährt noch am häufigsten der drei Exprofis. 4000 Kilometer im Jahr, schätzt er. Diese Woche kommen wieder 666 dazu. Und vielleicht ein paar mehr. Falls er es wie sein Landsmann Andre Bandi macht. Der Urlauber ließ selbst am Ruhetag bei der Rad Opening-Woche in Naturns sein Velo nicht im Stall. Gestern habe die Strecke schon geschlaucht, deshalb fahre er auch höchstens eine Stunde heute, ließ er wissen. Und auf den verwunderten Blick von Joachim Nischler, der sich ziemlich kaputt, aber noch ohne Krücken, durch sein Hotel bewegte, fügte er hinzu: „Nur ganz flach, auf der Straße…“

Wer die dritte Etappe nachfahren will:

Von Naturns geht es den Etschradweg entlang bis unter Bozen. Nächste Station: Neumarkt – von hier an den Weindörfern Pinzon und Montan vorbei ganz hoch zum Nationalpark Trudner Horn und weiter auf den Passo San Lugano. Dann über Altrei, Capriana, Grumes, Faver, Sevignano, Pergine bis zum Lago di Caldonazzo.

Ötzi-Bike-Academy und das Hotel Lindenhof

bieten für Gäste während der ganzen Saison – auch außerhalb der speziellen Radwochen – geführte Touren an.

Hier das aktuelle Programm: Wochenprogramm

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