50 Jahre
22. Januar 2022

50 Jahre Lindenhof! Die Pension von 1972 hat sich verändert, sie ist schnell zum Hotel geworden und vor drei Jahren sogar zum Resort. Die Gäste haben sich verändert, ihre Ansprüche sind gestiegen, die Interessen sind andere. Und vor allem haben sich die verändert, die den Lindenhof gebaut und geführt haben: die Nischlers. Werner ist in Rente, Joachim wollte mal Architekt werden, Chiara startete mit einem Biologiestudium, Emma steht nach dem Kunststudium vor der Schicksalsfrage. „Der Lindenhof hat unser aller Leben komplett geprägt“, sagt Joachim Nischler.

Die Nischlers – eine Art Familien Saga

Objektiv betrachtet stand der Lindenhof in Naturns wohl nur einmal vor dem Ruin. 1982. Als Italien im Finale der Fußball-Weltmeisterschaft in Madrid 3:1 gegen Deutschland gewann und der 13-jährige Knirps Joachim die Tore von Rossi, Tardelli und Altobelli mehr als frenetisch feierte. „Wir hatten damals fast nur deutsche Gäste. Und die drohten an diesem Abend ernsthaft mit Abreise“, sagt Doris Nischler.

Heute ist Joachim 52 und versteht noch immer nichts von Fußball. Aber von Gästen. „Ich habe im Lindenhof quasi ein Intensivstudium in Sachen Menschenkenntnis absolviert“, sagt der jetzige Hotelchef, der mit 27 Jahren die Verantwortung für den Lindenhof übernommen hatte. Mit „jugendlichem Eifer und Wahnsinn“ sei er an die Aufgabe gegangen und habe viele überrascht. Auch seinen Vater Werner, damals 56. Weil er gleich Weine von den besten Winzern kaufte, eine neue Weinkarte von Hand schrieb, auf denen die Flasche bis zu 50.000 Lire kostete. Bei seinem Vater wählten die Gäste zwischen drei Rot- und drei Weißweinen von einer Genossenschaft – für höchstens 8.000 Lire. „Ich habe mir damals keine Gedanken gemacht. Weder um irgendwelche Kapitalrückzahlungen noch darüber, dass vielleicht mal keine Urlauber mehr zu uns kommen könnten“, sagt er.

Joachim Nischler kam damals von der großen weiten Welt – aus dem Keller des Sternelokals „La Perla“ in Corvara. Als sogenannter „Läufer“ musste er die bestellten Flaschen der teuren Weine von unten nach oben bringen. So verwaltete er rund 400 Etiketten, lernte nicht nur roten von weißem Wein zu unterscheiden, sondern auch die Düfte und Aromen aus den verschiedenen Kellereien einzuordnen. Er lernte den Unterschied zwischen einem Stück Fleisch und Chateaubriand, und er lernte Lorella kennen. Mit der Mailänderin, die kein Wort Deutsch sprach, startete er nach den Praktikas im „La Perla“ und im „Oberwirt“ in Marling plötzlich doch noch die Karriere im Lindenhof – und vergaß Berufswünsche wie Architekt oder Lehrer. Wenn, dann richtig, entschied er sich:

„ANDERS ALS MEIN VATER, DER DIE PENSION MEHR ALS HOBBY BEGONNEN HATTE, WOLLTE ICH DAVON LEBEN. UND DAFÜR MUSSTE ICH GEWINN MACHEN.“

 

Werner Nischler lebt vom Baugeschäft. Er ist Teilhaber einer Naturnser Baufirma – und irgendwann kommt ihm die Idee, für sich und seine Familie ein eigenes Haus zu bauen. Das Baugrundstück ist schnell gefunden. Und doch entsteht 1972 oben am Kirchweg keine Villa für die Nischler-Familie, sondern eine Pension für Nischler-Gäste. Mit einer Wohnung für seine damalige Frau Maria und Sohn Joachim. „Ich habe es mir halt kurzfristig noch anders überlegt“, sagt der 81-Jährige und lacht so verschmitzt, wie man es von ihm kennt, wenn er morgens von seinem Stammplatz vor dem Restauranteingang aus mit der Zeitung in der Hand Urlaubern einen „leichten Spazierweg“ empfiehlt – und ihnen dann zum Abschied doch noch zuruft, dass es höchstens so 1.000 Höhenmeter sind. In den Jahren von 1972 bis 1995 ist er mit seinen Gästen gewandert und hat sie morgens um halb fünf aus den Betten geworfen. „Wir wollen doch vom Gipfelkreuz aus den Sonnenaufgang sehen“, rief er ihnen zu. Und lachte.

 

Es war eine andere Zeit. Und der Anfang des Tourismus in Südtirol. Werner Nischler machte als einer der Ersten das, was man heute Marketing nennt. Er packte Speck und Wein aus Südtirol ins Auto, fuhr nach Deutschland und besuchte die Reisebüros. Später ließ er die ersten Prospekte drucken und schickte jedem Gast zwei davon zu. „Einen zum Weitergeben“, ließ er wissen.

 

Werner Nischler hat viel investiert. Zum Beispiel Geld. „Wenn ich nicht das Baugeschäft gehabt hätte, wäre das mit dem Lindenhof nichts geworden“, sagt er. Er habe alles, was er da als Teilhaber in einer boomenden Branche verdient hat, in das Hotel gesteckt. „Angefangen habe ich mit null – und selbst das wäre immer weniger geworden, hätte ich im Baugewerbe nicht so gut verdient.“ Drei Mal hat er die Zimmer umgebaut, ein Freibad wollten die Gäste, später ein Hallenbad. Er brauchte Mitarbeiter*innen und irgendwann auch noch eine Tiefgarage. Werner: „Ich war trotz der ersten Verluste voller Energie und Tatendrang.“

 

Investiert hat er auch Zeit. Viel Zeit. Jeden Morgen stand er um 4.30 Uhr auf, um mit einer alten Buchungsmaschine Rechnungen zu schreiben und mit einer alten Schreibmaschine Briefe. Danach ging es in die Baufirma. In der Mittagspause kümmerte er sich um die Gäste, spielte eine Stunde Tennis mit ihnen, wenn es die eigentliche Arbeit erlaubte. Von 18 Uhr an war er wieder im Hotel. Am sogenannten Pass in der Küche überwachte er das Abendessen, später spielte er Tennis oder/und Karten mit den Gästen. Entweder gab es Party am Pool oder Grapparunden unten in der Kellerbar. Manche dieser Feste sind legendär geworden. Werner Nischler:

„VOR EIN UHR IN DER NACHT KAM ICH SELTEN INS BETT. ABER ICH HATTE AUCH DAS GLÜCK, DASS ICH NICHT MEHR ALS DREI ODER VIER STUNDEN SCHLAF BRAUCHTE.“

 

Vielleicht werden Menschen in einem Rund-um-die-Uhr-Hotel so. Ein Leben, wie es andere kennen, können sie jedenfalls kaum führen. Nehmen wir Chiara und Emma Nischler. Chiara ist 27, Emma 25. Beide sind im Lindenhof aufgewachsen. Beide waren von jüngster Kindheit an im eigenen Heim von fremden Menschen umgeben, beide haben von ihren Eltern nichts Anderes gehört, als dass im Hotel der oder die das oder jenes getan habe und warum was kaputt gegangen ist und jetzt wieder investiert werden muss. „Als Kind war ich vielleicht deshalb so rebellisch und habe sogar den Gästen die Zunge rausgestreckt“, sagt Emma, die drei Phasen ihrer jugendlichen Entwicklung schildert.

 

Da war die Grundschule. „Wir mussten nach den Ferien Aufsätze schreiben. Und alle Kinder haben über den Urlaub mit ihren Eltern geschrieben. Aber: ich war fast nie mit meinen Eltern im Urlaub. Schon gar nicht im Sommer“, erzählt sie. Das habe sie wütend gemacht. Und manchmal auch traurig.

 

Da war die Oberschule. In Meran hat sie behauptet, ihre Eltern würden in einem Hotel arbeiten. Aus Angst vor Neid und Missgunst. „Du bekommst sowieso alles, was Du willst, Du Hotelierstochter“, hatten sie ihr in Naturns zugerufen. Emma Lindenhof wurde sie genannt.

 

Und da war das Studium. „Nach meiner rebellischen Zeit bin ich schüchtern geworden. Aber: in Florenz fand ich schnell Freunde“, sagt die 25-Jährige und glaubt, den Grund zu kennen: „Ich bin durch das Leben im Hotel Fremden gegenüber aufgeschlossener.“ Freundinnen, aufgewachsen auf den Bauernhöfen in Naturns, hatten da mehr Probleme. Sie blieben an ihren Universitäten in Wien oder Innsbruck am liebsten nur mit Bekannten aus Südtirol in Kontakt. Emma Nischler:

„WEIL WIR MIT GÄSTEN AUFGEWACHSEN SIND, HABEN WIR MENSCHEN NIE IN SCHUBLADEN GESTECKT: ITALIENER SIND SO, SCHWEIZER SO UND DEUTSCHE SO. DESHALB GEHEN WIR VIELLEICHT AUCH ANDERS UND OBJEKTIVER AUF NEUE GESICHTER ZU.“

 

Chiara Nischler ist froh, dass ihre Eltern ein Haus in Tschirland gebaut haben. Damals war sie 15. „Es war wichtig für uns alle, dass wir aus dem Lindenhof ausziehen konnten“, sagt die heute 27-Jährige. Trotzdem sind Erinnerungen geblieben an eine schöne Kindheit, die sie damals allerdings anders empfunden hat. An ihre erste Poolparty, als die Gäste die Rezeptionistin Hildegard mit voller Kleidung ins Becken warfen. An Kinder von Gästen, mit denen sie gespielt hat und mit denen sie heute noch befreundet ist. An die Luke, dieses runde Fenster, an das sie klopfen musste, wenn die Rezeptionistin ihr den Luftsprudler am Pool einschalten sollte. Sie habe Tränen in den Augen gehabt, als 2017 der Bagger kam und das Hallenbad zertrümmerte, in dem sie schwimmen gelernt hatte. War es doch eine schöne Zeit? Das 24-Stunden-Leben im Hotel?

 

„Ich wollte als Kind nicht allen Gästen erzählen, wie es mir geht, was ich mache und warum ich so bin wie ich bin“, sagt Chiara. Die vielen Fragen haben sie in den jungen Jahren genervt. Ganz besonders, als sie an einem Tumor im Kopf erkrankt war. „Ich habe gedacht: warum soll ich dem das sagen? In ein paar Tagen ist der Gast eh wieder weg und interessiert sich nicht für mich.“ Sie sei da trotzig gewesen. Ja. Trotzig trifft es.

 

Wahrscheinlich muss man als Hotelierskind noch intensiver und schneller lernen als es von Gleichaltrigen verlangt wird. Wie oft haben Chiara und Emma gehört, dass sie freundlich zu den Gästen sein müssen. Ihnen morgens einen „guten Morgen“ wünschen sollen, später einen „schönen Tag“ und dass sich „guten Appetit“ immer und jedes Mal gehört, wenn sie am Essenstisch vorbei gehen. Ein Horror am Anfang, später war es normal. Und heute, sagt Chiara, habe ihr die von den Eltern damals erzwungene Freundlichkeit geholfen. „Weil man leichter durchs Leben kommt, wenn man freundlich ist.“ Das gelte für alle Lebenslagen. Und auch in allen Berufen.

 

Den Job als Juniorchefin im Hotel wollte sie nie. Und weil Tschirland nicht weit genug vom Lindenhof weg war, flüchtete sie nach Innsbruck und studierte nach dem Biologiestudium auch noch Wirtschaft. Aber irgendwann ging es ihr wie ihrem Vater im gleichen Alter. Sie schnupperte halt doch mal rein – mit Praktikas in den Hotels „Alpiana“ und „Quellenhof“. „Ich habe gesehen: Rezeption und Marketing – das ist mein Ding“, sagt sie. Heute leitet sie im Lindenhof die Rezeption und steuert das Marketing. Chiara Nischler:

„ICH HABE ABER VON ANFANG AN GESAGT: WIE MEINE ELTERN MACHE ICH DAS NICHT. ICH ARBEITE NICHT SIEBEN TAGE IN DER WOCHE UND DENKE AUCH NICHT 24 STUNDEN AM TAG NUR ANS HOTEL.“

 

Nachts um drei ist Joachim Nischler aufgewacht. Eigentlich jeden Morgen in diesen Monaten. Ob Montag, Mittwoch oder Sonntag. „Ich hatte wirklich Existenzangst“, sagt er. Das Rad im Gehirn sei immer zur selben Zeit mitten in der Nacht angesprungen, nur mit negativen Gedanken. Auch weil sich der Umbau stets in die Länge zog. Ist es doch der falsche Weg? Wie finde ich auf die Schnelle eine neue Baufirma, wenn die jetzige wirklich Insolvenz anmeldet? Für wen mache ich das eigentlich, wenn meine Töchter vielleicht das Hotel nicht übernehmen wollen? Was passiert, wenn es den Gästen nicht gefällt und sie lieber nach Mallorca fliegen?

 

Die Erweiterung zum Lindenhof Pure Luxury & Spa Resort zwischen den Jahren 2017 und 2018 war der größte Kraftakt in der beruflichen Laufbahn des Senkrechtstarters Joachim Nischler. Da half auch seine so gern zur Show getragene Leichtigkeit des Seins nichts. „Ich war psychisch ziemlich erledigt. Und ohne Lorella, die viel gemanagt hat, hätte ich das nicht geschafft“, sagt der Lindenhof-Chef. Natürlich ist er jetzt stolz: auf die drei neuen Baukörper mit den sieben Saunen, den acht Relaxräumen, dem Sportbecken, dem Kinderbereich und vieles mehr, auf die zahlreichen Auszeichnungen wie den Wellness-Heaven-Award als bestes Spa-Hotel Europas. Und vor allem auf das Lob der Gäste, das einem in solchen Situationen am meisten hilft.

 

Letzteres war auch nach dem Umbau zum Designhotel im Jahr 2004 so, das war nach allen Renovierungen und Umgestaltungen seit 1972 so. Aber: hat es sich auch gelohnt? Joachim Nischler:

„ICH HATTE VON ANFANG AN EINE VISION, AUCH EIN ZIEL, DAS ICH ERREICHEN WOLLTE. UND IN SCHWIERIGEN ZEITEN ERINNERE ICH MICH IMMER WIEDER AN DEN SPRUCH MEINER TANTE ANNELIESE: ,AUFGEBEN TUT MAN NUR BEI DER POST. AM SCHALTER´“.

 

Er sei stolz auf seinen Sohn, sagt Werner Nischler. Nein. „Schreiben Sie: sehr stolz.“ Seine Courage bewundere er, er verstehe ihn auch. „Der Konkurrenzkampf ist immer größer geworden. Da kannst du nur mit Qualität bestehen. Und zur Qualität gehören Umgestaltungen, Erweiterungen, Investitionen, ein Spa und Wellnessbereich“, sagt der 81-Jährige, der froh ist, sich aus diesem Wettbewerb verabschiedet zu haben. Mit 56 Jahren. Auf einen Schlag zog er sich aus allem zurück: aus dem Baugeschäft, aus seinen Ehrenämtern, aus dem Hotel. „Mir war klar, das muss jetzt einer anpacken, der die gleiche Energie hat wie ich sie 1972 hatte.“ Joachim, so glaubte er, war die ideale Besetzung. Werner wollte mehr Zeit mit seiner Frau Doris verbringen, Zeit, die sie beide im Doppelleben Baugeschäft-Hotel nicht hatten. Golf spielen, Ausflüge machen, gut essen gehen. „Ich kenne da so ein kleines Restaurant…“, beginnt heute so mancher Satz von Nischler-Senior.

 

Chiara und Emma wollen Restaurants nicht erst mit 56 kennenlernen. Sie gehören zu einer Generation, die Work-Life-Balance pflegt. Dieser Einklang zwischen Privat- und Berufsleben muss auch in einem familiengeführten Hotel möglich sein, glauben sie. „Ich will nicht alles dem Hotel opfern“, sagt Chiara. Auch Emma hofft, dass sie einen Weg findet zwischen Hotelaufgaben und ihrer Kunst. „Warum soll ich nicht ein kleines Atelier nebenher haben und weiter an Skulpturen arbeiten können?“, sagt sie, wobei eines für sie feststeht: der Lindenhof muss in Familienhand bleiben. Deshalb hat sie auch jetzt auf ein längeres Auslandssemester verzichtet, nachdem ihre Mutter Lorella angekündigt hatte, 2022 ihre eigenen Wege gehen zu wollen. „Seit sie mit meinem Vater zusammen ist, war sie fast jeden Tag im Hotel und hat gearbeitet“, sagt die 25-Jährige. Sie kann verstehen, dass man dann auch irgendwann den Ausgang sucht. Chiara und Joachim verstehen das auch.

 

Man braucht nicht lange zu spekulieren, warum sich Joachim und Lorella schon vor Jahren getrennt und nur noch beruflich zusammengearbeitet haben. Als der 52-Jährige in diesen Tagen zur Vorbereitung des 50-Jahr-Bestehens alte Fotobände durchgestöbert hat, ist der Geschäftsmann sentimental geworden. „Als ich unsere Töchter in jungen Jahren auf den Bildern sah, habe ich schon gedacht: ‚Sch…, ich habe was falsch gemacht‘!“ Lorella sei für Chiara und Emma da gewesen, wann immer es ihr möglich war. Er viel zu wenig. Das könne er leider nicht mehr ändern.

 

Wahrscheinlich wäre es das Einzige, was er gerne ändern würde: mehr Zeit für die Kinder, mehr private Zeit mit Lorella. Aber auch sein Tag hatte nur 24 Stunden. Und er erinnert sich noch an Tage, an denen er aus irgendwelchen Gründen mal am Abend zuvor nicht im Hotel gewesen ist: „Gäste haben das gar nicht gut gefunden, dass ich nicht für sie da war.“ Er will sich darüber nicht beschweren, schließlich liebe auch er die Gespräche mit den Gästen. „Was habe ich nicht alles gelernt? Wir haben auch viele Unternehmer bei uns, die mir erzählt haben, wie sie manche Dinge handhaben – mit Mitarbeiter*innen, mit Kund*innen. Und wie sie Höhen akzeptieren und Tiefen wegstecken. Anfangs war das wie eine Gratis-Management- Schulung für mich.“

 

Es ist gut, dass er jetzt auch noch gelernt hat, dass Manager Auszeiten brauchen. „Wenn wir den Lindenhof für die Zukunft aufstellen, müssen wir an Work-Life-Balance denken – bei den Mitarbeiter*innen und bei der Familie“, sagt der Hotelchef, wohlwissend, dass die besten Fachkräfte auch ein Privatleben haben. Und dass seine Töchter eins wollen. Deshalb will er künftig mit einem Hoteldirektor oder einer Hoteldirektorin arbeiten. Er/sie soll dafür sorgen, dass der Chef ein bisschen Freizeit bekommt und mehr seine Lieblingsrolle als „Gastgeber“ einnehmen kann. „Durch kleine Veränderungen machen wir es uns leichter – und der Gast wird dadurch noch mehr umsorgt als zuvor.“ So eine kleine Veränderung ist beispielsweise, dass die Familie jetzt täglich eine kleine Konferenz abhält und über das Hotel redet. Bei gemeinsamen Essen ist dieses Thema tabu. Und: jedes Familienmitglied soll eine Woche Urlaub im Sommer machen. Joachim Nischler:

FÜR MICH GIBT ES NOCH EINE GROSSE AUFGABE: ICH WILL DEN LINDENHOF SO AUFSTELLEN, DASS SICH DIE GÄSTE WEITERHIN SO WOHLFÜHLEN WIE BISHER UND DASS MITARBEITER*INNEN UND FAMILIE TROTZDEM EIN PRIVATLEBEN FÜHREN KÖNNEN.“

 

Mit 50 Jahren denkt man anders als mit 25. Diesen Spruch hört man dieser Tage oft von dem 52-Jährigen. Mit 25 hatte er keine Existenzsorgen. Mit 50 hatte er sie. Mit 25 wollte er den Traum vom großen Resort angehen. Mit 50 sagt er, dass der Lindenhof jetzt die richtige Größe erreicht habe, um mithalten zu können. „Zu unserer Philosophie, dass sich Gäste bei uns wie daheim fühlen, passt keine Erweiterung mehr.“ Jetzt wird nur noch in das investiert, was schon steht. Vorhandene Baumängel müssen beseitigt werden, die Zimmer im Owners House werden renoviert, ein separates Restaurant hätte noch Platz, ein Wellnessgarten soll entstehen, für die Mitarbeiter*innen braucht man ein weiteres Teamhouse in Naturns.

 

Werner Nischler hat mit 56 das Hotel an seinen Sohn übergeben. Joachim wird in vier Jahren 56. „Um Himmelswillen“, sagen Chiara und Emma, die schon als Kinder gemeinsam im Hotel gearbeitet haben. Sie haben gelernt, Zimmer zu putzen, im Restaurant zu bedienen, an der Rezeption die Gäste zu begrüßen, in der Waschküche schmutzige Handtücher wie neu zu waschen, in der Küche zu helfen. „Mich haben sie tagelang nur Zwiebel schneiden lassen“, sagt Emma. Gerüstet wären die Beiden, zumal sie sich auch noch bestens ergänzen. „Wenn es um Marketing oder Zahlen geht, hält sich Emma raus. Wenn es um ästhetische Fragen oder gar irgendwelche Kunst geht, lasse ich Emma machen“, sagt Chiara. Und doch: von einer freundlichen Übernahme wollen sie beide nichts wissen. „Es ist Wahnsinn, was unser Vater geleistet hat und noch immer leistet. Wir brauchen ihn noch lange“, sagen sie fast im Duett. Im Moment bilden sie mit ihm eine Art Verwaltungsrat, der die Gegenwart und die Zukunft steuert. Eine Zukunft, die sich Joachim Nischler mit sechzig durchaus so vorstellen kann:

„ICH HOLE JEDE WOCHE MEINEN SCHECK IM HOTEL AB, MACHE EINE WELTREISE, GEHE AUCH MAL ZUR TOUR DE FRANCE UND KÜMMERE MICH UM EINEN GROSSEN GARTEN MIT MARILLEN UND PFLAUMEN.“

 

Und vielleicht sitzt er ja dann mit einer Zeitung neben seinem Vater Werner am Tisch zum Restauranteingang. Und sie reden über 1972. Als das Haus für die Familie zum Haus für Gäste wurde. „Wenn er nicht alles für die Pension geopfert hätte, gäbe es den Lindenhof nicht mehr“, sagt Joachim. „Wenn er nicht so viel Mut gehabt hätte, wäre der Lindenhof heute nicht mehr konkurrenzfähig“, sagt Werner.

 

Nischler & Nischler.

Und Nischler. Fortsetzung folgt.

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