Kulinarik
08. Oktober 2016

Schnaps, das war sein letztes Wort

Die Methoden von früher kennen moderne Barkeeper nur noch aus Erzählungen – heute setzen sie mehr auf Psychologie als auf Kontrollverlust durch Alkohol

 Ein guter Barmann ist ein Gastgeber für angenehme Gäste, ein Dompteur für schwierige Gäste und ein Therapeut für traurige Gäste. Und vor allem: ein guter Barmann redet nur mit seiner Kundschaft, nie über sie. Wir testen: hat der Lindenhof einen guten Barmann?

Geschichten gibt es nirgendwo mehr zu hören als an der Bar. Zum Beispiel diese: zwei Damen mittleren Alters sollen Barkeeper Stefan in ihre Suite eingeladen haben, irgendwann nach Mitternacht. Sie sind vorgegangen. Er hatte drei Minuten Bedenkzeit, wird erzählt. Wahr oder unwahr? Der Barmann lächelt – und schweigt. „Ich könnte ein Buch schreiben über das, was ich so erlebt habe”, sagt er später – aber er weiß, dass er das Buch nicht schreiben wird. „Für mich gelten zwei Regeln in meinem Job: Ich rede nie über Gäste, und ich trinke keinen Alkohol im Dienst.”

Stefan Pichler verkörpert den modernen Typ des Barmanns, was natürlich auch daran liegt, dass er dank der Gnade der späten Geburt die alten Zeiten nur aus Erzählungen kennt. Damals war Abfüllen Pflicht, natürlich musste zum Bier der Korn serviert werden, natürlich musste der Cocktails so sein, dass selbst die Damen die Kontrolle verloren. Wer viel verkaufte, war ein guter Barmann. Der Umsatz ist auch heute noch wichtig, aber wichtiger ist, dass der Mann hinter der Bar den richtigen Ton bei jedem Gast trifft. „Oft entscheidet sich abends an der Bar, ob den Leuten ein Hotel gefällt oder nicht”, weiß auch Lindenhof- Chef Joachim Nischler. Mit Pichler hat er die Idealbesetzung gefunden. Ihm vertrauen Urlauber auch innerhalb von wenigen Stunden ihr Leben an „Du musst zuhören können. Das ist fast noch wichtiger als den richtigen Cocktail zu mixen”, sagt Stefan Pichler.

Pichler gehört der Vereinigung der deutschen Barkeeper an, weil Weiterbildung für ihn das erste Gebot ist. „Das Trinkverhalten ändert sich häufig“, sagt er – und weiß doch, dass die Psychologie wichtiger ist als der Cocktail. „Du brauchst das Gespür, dass du dem Gast in jeder Gemütsverfassung das Richtige anbietest.” Pichler liest Gesichter, dann hört er zu – und manch einer will nicht mal, dass er was sagt. „Ich habe auch schon stundenlang einem Ehepaar bis morgens um vier nur zugehört. Mehr wollten die nicht.” Und was wollten die zwei Damen, die Dir drei Minuten Bedenkzeit gegeben haben? Stefan lächelt. „Wahrscheinlich einen Cocktail. Ich weiß es nicht mehr”, sagt er und wendet sich der Dame um die 40 zu, die ihm gestern laut Erzählungen traurig erklärt haben soll, dass sie die Scheidung einreichen wird. Und ihn gefragt haben soll: „Würdest Du an meiner Stelle noch einmal mit ihm reden?” Wir wissen nicht, ob und was Stefan empfohlen hat. Wir empfehlen, ihm alles zu sagen. Er wird es nicht weiter erzählen. Die Dame jedenfalls sitzt heute glückstrahlend auf dem gleichen Barhocker wie gestern. Und der Barmann sagt, die Dame habe gestern nur nach einem Fancy-Drink gefragt – und den habe er ihr gemixt. „Ein Fancy-Drink ist ein Cocktail, der die ganz besondere Kreativität des Barkeepers erfordert. Willst auch einen?” Wir brechen den Versuch ab, Bargeschichten vom Barmann zu hören. Denn es ist zu befürchten, dass er nach diesem Fancy-Drink mehr von unserem Leben wissen wird als wir nach tagelanger Recherche von seinem. Wahr oder unwahr?

Stefan Pichler ist seit zwei Jahren an der Bar im Lindenhof. Er hat die Savoy-Schule in Meran besucht – mit dem Schwerpunkt Service. Seine erste Station war der „Quellenhof” im Passeiertal. Zum ersten Mal an der Bar arbeitete er im damaligen Dolce Vita- Hotel „Paradies”.

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